Zum Film | In Erinnerung an vergangene Abenteuer
aus meiner Jugend war ich bereits seit längerer Zeit auf der Suche
nach einem verlassenen Eisenbahntunnel im Norden Deutschlands. Da
Tunnel in der flachen Weite des Nordens aber eine Seltenheit sind,
gestaltete sich die Suche recht schwierig, bis ich mehr oder weniger
durch Zufall auf den Lengericher Eisenbahntunnel stieß - dem
nördlichsten Gebirgs-Eisenbahntunnel Deutschlands, am Rande des
Teutoburger Waldes.
Eine unheilsame Geschichte soll sich
hier abgespielt haben, und wie sich herausstellte, schienen sich
„filmende Explorer“ nicht wirklich ins Innere des Tunnels zu
wagen, denn eine komplette Dokumentation ins Dunkel dieses Erdreichs
war nirgends zu finden.
Da ich in der Zeit zwischen meiner
Entdeckung im Netz und dem Eintritt durch die geöffnete Metalltür
des Tunnels, keine Zeit für eine eingehende Recherche hatte, wurde
mein Abenteuer eine Fahrt ins Unbekannte - was sich wenig später
ausnahmsweise als Vorteil herausstellen sollte. Hätte ich gewusst,
welchen Ort ich da in den Tiefen des Gesteins erkunde, wäre ich
sicher nicht mit der gleichen Leichtigkeit vorgegangen - denn dieser
Tunnel ist ein Ort mit einer grausamen Geschichte.
Schon als die
Köln-Minder-Eisenbahngesellschaft die Strecke zwischen Münster und
Osnabrück im Dezember 1871 eröffnete, schufteten franzische
Zwangsarbeiter drei Jahre lang während des Deutsch-Französischen
Kriegs, um der Eisenbahn einen 765 Meter weiten Weg durch das
unterirdische Gestein des Teutoburger Waldes zu bahnen.
1928 wurde der Tunnel nach nur wenigen
Jahrzehnten Dienstzeit geschlossen, da man parallel einen neuen
Tunnel grub, um die Strecke später auf vier Gleise zu erweitern.
Statt den alten Tunnel dann nach Instandsetzungsarbeiten wieder in
Betrieb zu nehmen, verweiste er allerdings und diente der Lengericher
Bevölkerung in den folgenden Kriegsjahren als Schutzraum.
Erbaut durch Zwangsarbeit und
ausgedient als Bunker genutzt, erlebte der alte Lengericher Tunnel um
die längs vergangene Jahrhundertwende nur eine kurze Zeit des
Friedens. Doch es sollte erst friedlos werden.
Im März 1944 entdeckte der Jägerstab
der Nationalsozialisten den Tunnel für sich, um in ihm mit der Kraft
weiterer Zwangsarbeiter Flugzeugteile herzustellen. Sie bauten den
Tunnel, der nun den Decknamen „Rebhuhn trug“, nach ihren
Bedürfnissen um und errichteten dort kurzerhand ein KZ-Außenlager,
unter dem Namen „A1 Lengerich“. Wie viele Menschen im Dunkel des
Tunnels ermordet wurden, ist ungewiss. Nur wenige Geschichten sind
genauer bekannt. Geschichten von Flucht, unfreiwilliger Rückkehr und
Hinrichtung. Arbeiter sollen hier im Tunnel erhängt worden sein.
Ihre Körper und die der anderen Toten, wurden in Baugruben und
namenlos auf umliegenden Friedhöfen verscharrt.
Dass sich all das im Dunkel dieses
Tunnels abspielte, den ich gerade so unwissend erkundete, war mir im
nachhinein ein Schrecken. Mit welchem Gefühl wäre ich durch die
Nebelschwaden gezogen, hätte ich vor Ort gewusst, das hier Menschen
ermordet wurden? Doch unvoreingenommen diesen Ort besucht zu haben,
bedeutet für mich unvoreingenommen diesen Ort erspührt zu haben. Es
war eine drückende düstere, aber nicht feindselige Atmosphäre.
Ganz hinten im Tunnel, wo Massen von Erdreich den Ausgang versperren,
war mir tatsächlich etwas unwohl. Irgendetwas drängte mich zurück
Richtung Ausgang. Aber sonst war mein Eindruck mehr der von
„Faszination im Innern eines Berges“. Sicher spielt es eine
Rolle, mit welchem Respekt man einem Ort begegnet, aber
möglicherweise und vielleicht sogar ganz sicher, haben die Seelen
der hier gestorbenen keinen Anlass zum weiteren Verweilen gesehen.