Freitag, 31. August 2018

Deckname Rebhuhn - Eine Expedition ins Dunkel des Lengericher Eisenbahntunnels



Zum Film | In Erinnerung an vergangene Abenteuer aus meiner Jugend war ich bereits seit längerer Zeit auf der Suche nach einem verlassenen Eisenbahntunnel im Norden Deutschlands. Da Tunnel in der flachen Weite des Nordens aber eine Seltenheit sind, gestaltete sich die Suche recht schwierig, bis ich mehr oder weniger durch Zufall auf den Lengericher Eisenbahntunnel stieß - dem nördlichsten Gebirgs-Eisenbahntunnel Deutschlands, am Rande des Teutoburger Waldes.
Eine unheilsame Geschichte soll sich hier abgespielt haben, und wie sich herausstellte, schienen sich „filmende Explorer“ nicht wirklich ins Innere des Tunnels zu wagen, denn eine komplette Dokumentation ins Dunkel dieses Erdreichs war nirgends zu finden.
Da ich in der Zeit zwischen meiner Entdeckung im Netz und dem Eintritt durch die geöffnete Metalltür des Tunnels, keine Zeit für eine eingehende Recherche hatte, wurde mein Abenteuer eine Fahrt ins Unbekannte - was sich wenig später ausnahmsweise als Vorteil herausstellen sollte. Hätte ich gewusst, welchen Ort ich da in den Tiefen des Gesteins erkunde, wäre ich sicher nicht mit der gleichen Leichtigkeit vorgegangen - denn dieser Tunnel ist ein Ort mit einer grausamen Geschichte.



Schon als die Köln-Minder-Eisenbahngesellschaft die Strecke zwischen Münster und Osnabrück im Dezember 1871 eröffnete, schufteten franzische Zwangsarbeiter drei Jahre lang während des Deutsch-Französischen Kriegs, um der Eisenbahn einen 765 Meter weiten Weg durch das unterirdische Gestein des Teutoburger Waldes zu bahnen.
1928 wurde der Tunnel nach nur wenigen Jahrzehnten Dienstzeit geschlossen, da man parallel einen neuen Tunnel grub, um die Strecke später auf vier Gleise zu erweitern. Statt den alten Tunnel dann nach Instandsetzungsarbeiten wieder in Betrieb zu nehmen, verweiste er allerdings und diente der Lengericher Bevölkerung in den folgenden Kriegsjahren als Schutzraum.

Erbaut durch Zwangsarbeit und ausgedient als Bunker genutzt, erlebte der alte Lengericher Tunnel um die längs vergangene Jahrhundertwende nur eine kurze Zeit des Friedens. Doch es sollte erst friedlos werden.
Im März 1944 entdeckte der Jägerstab der Nationalsozialisten den Tunnel für sich, um in ihm mit der Kraft weiterer Zwangsarbeiter Flugzeugteile herzustellen. Sie bauten den Tunnel, der nun den Decknamen „Rebhuhn trug“, nach ihren Bedürfnissen um und errichteten dort kurzerhand ein KZ-Außenlager, unter dem Namen „A1 Lengerich“. Wie viele Menschen im Dunkel des Tunnels ermordet wurden, ist ungewiss. Nur wenige Geschichten sind genauer bekannt. Geschichten von Flucht, unfreiwilliger Rückkehr und Hinrichtung. Arbeiter sollen hier im Tunnel erhängt worden sein. Ihre Körper und die der anderen Toten, wurden in Baugruben und namenlos auf umliegenden Friedhöfen verscharrt.

Dass sich all das im Dunkel dieses Tunnels abspielte, den ich gerade so unwissend erkundete, war mir im nachhinein ein Schrecken. Mit welchem Gefühl wäre ich durch die Nebelschwaden gezogen, hätte ich vor Ort gewusst, das hier Menschen ermordet wurden? Doch unvoreingenommen diesen Ort besucht zu haben, bedeutet für mich unvoreingenommen diesen Ort erspührt zu haben. Es war eine drückende düstere, aber nicht feindselige Atmosphäre. Ganz hinten im Tunnel, wo Massen von Erdreich den Ausgang versperren, war mir tatsächlich etwas unwohl. Irgendetwas drängte mich zurück Richtung Ausgang. Aber sonst war mein Eindruck mehr der von „Faszination im Innern eines Berges“. Sicher spielt es eine Rolle, mit welchem Respekt man einem Ort begegnet, aber möglicherweise und vielleicht sogar ganz sicher, haben die Seelen der hier gestorbenen keinen Anlass zum weiteren Verweilen gesehen.