Sonntag, 21. April 2019

Das Abenteuer Erlischt | Dokumentarfilm







Ein Abenteuer nährt sich von Romantik und Entdeckerlust. Ohne die Schönheit des Alten geht die Inspiration für Erkundung verloren.

Zum Film | Es ist jetzt bald ein Jahr her, das ich das erste Mal das beschauliche Quakenbrück im zauberhaften Artland zwischen Cloppenburg und Osnabrück besuchte. Das kleine Städtchen zog mich sofort in seinen wohltuenden Bann - kaum 20 Minuten nach meiner ersten Ankunft.
Einst gab es hier wohl mal eine Burg, die leider keine wirklich sichtbaren Spuren hinterließ. Und doch ist der Geist des Mittelalters in den kleinen Straßen und Gassen allgegenwärtig.
Manch ein Gebäude, nach Jahrhunderte vergangener Handwerksmanier aus groben Steinen gebaut, lässt die älteste Geschichte der Stadt noch erahnen. Auch die St.-Sylvester-Kirche gehört zu jenen Bauwerken, umrahmt von liebevoll instandgehaltenen Fachwerkhäusern. Manch eines steht beinahe so da, wie zu Zeiten seiner Erbauung. Andere warten noch auf einen Liebhaber mit der passenden Geldbörse und dem rechten Sinn für das Historische.
Eben dieser Sinn für das Historische ist es, der im Mittelpunkt dieses Films steht. Dabei geht es aber nicht wirklich um Restaurierung oder Erhaltung, sondern viel mehr um das Altern und Vergehen. Dabei könnte dieser Film bald zu einem Requiem werden. Eine Dokumentation, die warnend aufschreit: „Das Abenteuer erlischt!“


Während das Abenteuer der Moderne darin besteht, sich mit überteuerten Outdoorartikeln bestückt in organisierte Touren und Sportevents einzuklinken, mit einem technisch völlig überentwickelten Fahrrad wie ein geölter Blitz durch die Landschaft zu schießen oder sich in Kletterparks selbst zu überwinden, so war das Abenteuer der vorindustriellen Zeit eher unprofessionell und bescheiden. Es war das unvorhersehbare Erlebnis der Entdecker.

Als Kinder streunten wir durch verwilderte Hintergärten, erkundeten zugewucherte Bachläufe und sahen hinter jedem alten Kellerfenster, von Laub und Spinnweben verhangen, gebannt ins Dunkel einer unbekannten Welt. Eine Welt, die wir wenige Jahre später unbedacht zerstörten.

Altes muss weg und Neues muss gerade und sauber sein. So hat es uns die Werbung seit Jahrzehnten gepredigt. Der Trümmerschock des Krieges und die Wirtschaftswunder der 60ger Jahre zeigten den Menschen auf, was gut und zukunftsweisend ist. Kesselflicker und Scherenschleifer starben aus und ihnen folgte schnellen Schrittes eine Wegwerfgesellschaft mit Chemoreiniger und glattwandigen Zukunftsvisionen. Und während ich diese Worte schreibe, unterstreicht mir mein Computer-Schreibprogramm das Wort „“Kesselflicker in blau und warnt mich vor einem veralteten Ausdruck. Was ist geschehen, das wir den Sinn für bewährte Erfahrungen, Tradition und Wertigkeit verloren haben?

Als Dieter Wieland vor 30 Jahren in seinen unzähligen Filmen vor der Verwahrlosung der Baukultur und der Zerstörung von Schönem und Bewährten warnte, gab es hierzulande noch vieles zu entdecken und zu erforschen. Doch er wurde zu selten erhört. Die bauliche Schönheit, das vergessene kunstvolle Handwerk, die alten Keller und historische Hinterhöfe sind verschwunden. Wir haben sie zerstört. Das Abenteuer erlischt.

Und die Auswirkungen sind verheerend. Mit dem Abenteuer erlischt auch der Entdeckergeist, das unvorhersehbare Erlebnis und viele wertvolle Erfahrungen. Nun, in einer sauberen und glatten Stadt suchen sich Kinder und Jugendliche die Seelennahrung für ihre Neugierde in digitalen Welten. Was man planierte, zur Seite schob, abriss und in Wald und Flur bereinigte wurde digital ersetzt. Das Abenteuer, nach dem wir uns so sehr sehnen, ist bald nur noch in Computerspielen und animierten Filmen zu finden. Wundern wir uns, dass ein Smartphone der beste Freund unserer Kinder geworden ist? Wo wir doch täglich alte Bäume fällen und durch stachelige Koniferen ersetzen?


Das erste Abenteuer erlebte ich im Garten meiner Kindheit. Wir hatten damals einen schönen alten Garten, hinter dessen Pforte nach hinten hinaus eine große Obstwiese an ein undurchdringliches Dickicht grenzte, in dessen Gestrüpp ein fast verfallener dunkler Schuppen für Respekt und Entdeckerlust sorgte. Nun mit der Kamera durch die Stadt streunend, fand ich nur wenige Ecken, die zumindest ein wenig so spannend wie der Garten meiner Kindheit waren.

Gärten machen Arbeit. Gärten machen Dreck. Und so baggert man aufwendig die über Jahrzehnte gereifte Erde ab, versiegelt sie mit einer Kunststoffplane und legt einen Steingarten an. Stein, ja - das ist unübersehbar. Aber Garten kann man das nicht mehr nennen.

Zu meiner Freude fand ich mehrere Straßen, die bis heute von der Moderne verschont blieben. Zugegeben ist dieses Beispiel eher das Resultat von Pflegelosigkeit, aber mir ist das lieber, als die Straße gleich um die Ecke, wo weder Halm noch Käfer einen Platz zum Leben finden. Es gibt noch Menschen, die ihre Häuser und Gärten leben lassen. Hier hat die Natur Mitspracherecht und die Chemokeule Hausverbot. Hier darf man leben, erleben und entdecken.
Manch ein Nachbar mag da schimpfen und zetern. Aber erinnern wir uns an das schöne Beispiel von Dieter Wieland, wie Kinder ein Haus malen: Mit Baum, Strauch, Blumen und Wiese bis an die die Hausmauer. Hier darf man träumen. Hier wartet das Abenteuer.

Es gibt auch Menschen, die das Alte und Schöne bewahren, die seinen Wert erkennen und sich auf eine Reise begeben, die sich auf ein Abenteuer einlassen. Das Abenteuer der Erforschung und Erhaltung.

Eigentlich hatte ich geplant, nach kleinen Abenteuern in der Stadt zu suchen. Nach verweisten Häuserschluchten, dunklen Kellerlöchern und von Spinnenweben versiegelten Türen. Zwar fand sich die ein oder andere Niesche, aber selbst im verträumten Quakenbrück sind die vom Saubermann übersehenen Ecken rar. Und ich schaute ganz bewusst nur von der Straße aus. Man muss schon aufs Land hinaus, um wirklich etwas zu entdecken. So wie im vergangenen Sommer, als wir mit freundlicher Genehmigung, einen alten Mostkeller im Artland erkunden konnten. Hier ist vor über einem halben Jahrhundert die Zeit stehen geblieben. Als der Betrieb eingestellt wurde, schloss man die Türen und überließ alles hinter ihnen der Zeit. Ein Paradies für Entdecker.

Eine Überraschung bot sich mir allerdings in Form eines alten Kaugummiautomaten. Da stand ein Relikt der Abenteuerpausen meiner Kindheit. Übersehen, verlassen und doch gefüllt. Jetzt beim Schneiden des Films, frage ich mich, warum ich nicht versuchte ein Geldstück hineinzuwerfen.

Dann gab es noch etwas zu entdecken. Der Gasthof „Zur Linde“ scheint schon länger geschlossen. Ein Blick durch das Fenster zeigt die Einrichtung der 70ger Jahre und mir wurde erzählt, das die Küche hier früher so etwas wie der bessere Ersatz von Fastfood war. Gegrillte Hähnchen mit Pommes. Nun wächst Moos auf den Laternen die einst den Eingang beleuchteten und die Farbe an Fenstern und Türen löst sich in rissigen Flocken vom Holz. Auf allem ruht Staub und Dreck und sofort ist sie da: die Entdeckerlust! Ich werde bei nächster Gelegenheit herausfinden wem das Haus gehört, um vielleicht einen Blick hinter die schöne historische Fassade werfen zu können.

Dann ist da noch ein Heckenpfad bei der alten Sylvester-Kirche. Längst zugewachsen, aber noch mit einem Tor versehen, konnte man damals vom anliegenden Wohnhaus in zweiter Reihe direkt zur Kirche gelangen.


Es ist gut das es wieder mehr Menschen gibt, die sich dem Alten widmen. Es retten und vielleicht sogar neu aufgreifen. Doch wo sind die schmalen Pfade, an dessen Wegende das Abenteuer wartet? Wo ist die Patina, die Geschichten von Jahrhunderten erzählt? Wo bleibt die Romantik, die uns inspiriert etwas zu erleben, raus zu gehen und dem Entdeckerinstinkt zu folgen? Was ist aus den Erfahrungen geworden, die von Generation zu Generation weitergereicht wurden und nun als Mythologie, Märchen oder Humbug abgetan werden? Wann begann der Mensch vom Träumer zum Realisten zu verkommen? War es die chemisch gereinigte Geradlinigkeit, die uns zu funktionalen Saubermännern werden ließ?

Natürlich kann man auch in der Moderne Abenteuer erleben und es macht mir sogar Spaß, in riesigen Parkhäusern durch die Etagen zu streifen. Aber hier ist nichts Lebendiges verborgen. Der Beton erzählt keine Geschichten. Gebaut wird mit künstlichem Baustoff - nicht mit entdeckbaren Naturmaterialien. Beton hat keine Jahresringe und Industrieputz ist tot und kalt - ganz im Gegenteil zum Lehmputz.

Es gibt praktische keinen Abenteuerfilm ohne alte unberührte Orte und Gebäude. Sind es Höhlen oder Pyramiden, Schlösser oder Burgen. Jedes Abenteuer braucht eine Bühne und einen Ort, der etwas wertvolles beherbergt.

Und nun frage ich Euch: „Was kann jeder Einzelne tun, um die Abenteuer nicht erlöschen zu lassen? Welche Möglichkeiten gibt es, das Alte und Schöne zu bewahren? Was braucht man vielleicht nicht zu streichen oder zu überputzen? Die Holzplanken eines dreihundertjährigen Fußbodens erzählen die abenteuerlichsten Geschichten, alte Hauswände bewahren jede Spur der Zeit. Mit echtem Leinöl lassen sich unzählige Oberflächen konservieren. Muss wirklich alles abgerissen werden das alt ist, oder kann man es auch mit einfachen günstigen Mitteln erhalten, um das Abenteuer nicht erlöschen zu lassen?“

Ohne die kunstvollen Werke der Alten verkümmert unser Sinn für das Schöne. Ein Abenteuer nährt sich von Romantik und Entdeckerlust. Ohne die Schönheit des Alten geht die Inspiration für Erkundung verloren.

Was können wir tun, um das Abenteuer zu bewahren?