Ein Abenteuer nährt sich von Romantik
und Entdeckerlust. Ohne die Schönheit des Alten geht die Inspiration
für Erkundung verloren.
Zum Film | Es ist jetzt bald ein Jahr her, das ich
das erste Mal das beschauliche Quakenbrück im zauberhaften Artland
zwischen Cloppenburg und Osnabrück besuchte. Das kleine Städtchen
zog mich sofort in seinen wohltuenden Bann - kaum 20 Minuten nach
meiner ersten Ankunft.
Einst gab es hier wohl mal eine Burg,
die leider keine wirklich sichtbaren Spuren hinterließ. Und doch ist
der Geist des Mittelalters in den kleinen Straßen und Gassen
allgegenwärtig.
Manch ein Gebäude, nach Jahrhunderte
vergangener Handwerksmanier aus groben Steinen gebaut, lässt die
älteste Geschichte der Stadt noch erahnen. Auch die
St.-Sylvester-Kirche gehört zu jenen Bauwerken, umrahmt von
liebevoll instandgehaltenen Fachwerkhäusern. Manch eines steht
beinahe so da, wie zu Zeiten seiner Erbauung. Andere warten noch auf
einen Liebhaber mit der passenden Geldbörse und dem rechten Sinn für
das Historische.
Eben dieser Sinn für das Historische
ist es, der im Mittelpunkt dieses Films steht. Dabei geht es aber
nicht wirklich um Restaurierung oder Erhaltung, sondern viel mehr um
das Altern und Vergehen. Dabei könnte dieser Film bald zu einem
Requiem werden. Eine Dokumentation, die warnend aufschreit: „Das
Abenteuer erlischt!“
Während das Abenteuer der Moderne
darin besteht, sich mit überteuerten Outdoorartikeln bestückt in
organisierte Touren und Sportevents einzuklinken, mit einem technisch
völlig überentwickelten Fahrrad wie ein geölter Blitz durch die
Landschaft zu schießen oder sich in Kletterparks selbst zu
überwinden, so war das Abenteuer der vorindustriellen Zeit eher
unprofessionell und bescheiden. Es war das unvorhersehbare Erlebnis
der Entdecker.
Als Kinder streunten wir durch
verwilderte Hintergärten, erkundeten zugewucherte Bachläufe und
sahen hinter jedem alten Kellerfenster, von Laub und Spinnweben
verhangen, gebannt ins Dunkel einer unbekannten Welt. Eine Welt, die
wir wenige Jahre später unbedacht zerstörten.
Altes muss weg und Neues muss gerade
und sauber sein. So hat es uns die Werbung seit Jahrzehnten
gepredigt. Der Trümmerschock des Krieges und die Wirtschaftswunder
der 60ger Jahre zeigten den Menschen auf, was gut und zukunftsweisend
ist. Kesselflicker und Scherenschleifer starben aus und ihnen folgte
schnellen Schrittes eine Wegwerfgesellschaft mit Chemoreiniger und
glattwandigen Zukunftsvisionen. Und während ich diese Worte
schreibe, unterstreicht mir mein Computer-Schreibprogramm das Wort
„“Kesselflicker in blau und warnt mich vor einem veralteten
Ausdruck. Was ist geschehen, das wir den Sinn für bewährte
Erfahrungen, Tradition und Wertigkeit verloren haben?
Als Dieter Wieland vor 30 Jahren in
seinen unzähligen Filmen vor der Verwahrlosung der Baukultur und der
Zerstörung von Schönem und Bewährten warnte, gab es hierzulande
noch vieles zu entdecken und zu erforschen. Doch er wurde zu selten
erhört. Die bauliche Schönheit, das vergessene kunstvolle Handwerk,
die alten Keller und historische Hinterhöfe sind verschwunden. Wir
haben sie zerstört. Das Abenteuer erlischt.
Und die Auswirkungen sind verheerend.
Mit dem Abenteuer erlischt auch der Entdeckergeist, das
unvorhersehbare Erlebnis und viele wertvolle Erfahrungen. Nun, in
einer sauberen und glatten Stadt suchen sich Kinder und Jugendliche
die Seelennahrung für ihre Neugierde in digitalen Welten. Was man
planierte, zur Seite schob, abriss und in Wald und Flur bereinigte
wurde digital ersetzt. Das Abenteuer, nach dem wir uns so sehr
sehnen, ist bald nur noch in Computerspielen und animierten Filmen zu
finden. Wundern wir uns, dass ein Smartphone der beste Freund unserer
Kinder geworden ist? Wo wir doch täglich alte Bäume fällen und
durch stachelige Koniferen ersetzen?
Das erste Abenteuer erlebte ich im
Garten meiner Kindheit. Wir hatten damals einen schönen alten
Garten, hinter dessen Pforte nach hinten hinaus eine große Obstwiese
an ein undurchdringliches Dickicht grenzte, in dessen Gestrüpp ein
fast verfallener dunkler Schuppen für Respekt und Entdeckerlust
sorgte. Nun mit der Kamera durch die Stadt streunend, fand ich nur
wenige Ecken, die zumindest ein wenig so spannend wie der Garten
meiner Kindheit waren.
Gärten machen Arbeit. Gärten machen
Dreck. Und so baggert man aufwendig die über Jahrzehnte gereifte
Erde ab, versiegelt sie mit einer Kunststoffplane und legt einen
Steingarten an. Stein, ja - das ist unübersehbar. Aber Garten kann
man das nicht mehr nennen.
Zu meiner Freude fand ich mehrere
Straßen, die bis heute von der Moderne verschont blieben. Zugegeben
ist dieses Beispiel eher das Resultat von Pflegelosigkeit, aber mir
ist das lieber, als die Straße gleich um die Ecke, wo weder Halm
noch Käfer einen Platz zum Leben finden. Es gibt noch Menschen, die
ihre Häuser und Gärten leben lassen. Hier hat die Natur
Mitspracherecht und die Chemokeule Hausverbot. Hier darf man leben,
erleben und entdecken.
Manch ein Nachbar mag da schimpfen und
zetern. Aber erinnern wir uns an das schöne Beispiel von Dieter
Wieland, wie Kinder ein Haus malen: Mit Baum, Strauch, Blumen und
Wiese bis an die die Hausmauer. Hier darf man träumen. Hier wartet
das Abenteuer.
Es gibt auch Menschen, die das Alte und
Schöne bewahren, die seinen Wert erkennen und sich auf eine Reise
begeben, die sich auf ein Abenteuer einlassen. Das Abenteuer der
Erforschung und Erhaltung.
Eigentlich hatte ich geplant, nach
kleinen Abenteuern in der Stadt zu suchen. Nach verweisten
Häuserschluchten, dunklen Kellerlöchern und von Spinnenweben
versiegelten Türen. Zwar fand sich die ein oder andere Niesche, aber
selbst im verträumten Quakenbrück sind die vom Saubermann
übersehenen Ecken rar. Und ich schaute ganz bewusst nur von der
Straße aus. Man muss schon aufs Land hinaus, um wirklich etwas zu
entdecken. So wie im vergangenen Sommer, als wir mit freundlicher
Genehmigung, einen alten Mostkeller im Artland erkunden konnten. Hier
ist vor über einem halben Jahrhundert die Zeit stehen geblieben. Als
der Betrieb eingestellt wurde, schloss man die Türen und überließ
alles hinter ihnen der Zeit. Ein Paradies für Entdecker.
Eine Überraschung bot sich mir
allerdings in Form eines alten Kaugummiautomaten. Da stand ein Relikt
der Abenteuerpausen meiner Kindheit. Übersehen, verlassen und doch
gefüllt. Jetzt beim Schneiden des Films, frage ich mich, warum ich
nicht versuchte ein Geldstück hineinzuwerfen.
Dann gab es noch etwas zu entdecken.
Der Gasthof „Zur Linde“ scheint schon länger geschlossen. Ein
Blick durch das Fenster zeigt die Einrichtung der 70ger Jahre und mir
wurde erzählt, das die Küche hier früher so etwas wie der bessere
Ersatz von Fastfood war. Gegrillte Hähnchen mit Pommes. Nun wächst
Moos auf den Laternen die einst den Eingang beleuchteten und die
Farbe an Fenstern und Türen löst sich in rissigen Flocken vom Holz.
Auf allem ruht Staub und Dreck und sofort ist sie da: die
Entdeckerlust! Ich werde bei nächster Gelegenheit herausfinden wem
das Haus gehört, um vielleicht einen Blick hinter die schöne
historische Fassade werfen zu können.
Dann ist da noch ein Heckenpfad bei der
alten Sylvester-Kirche. Längst zugewachsen, aber noch mit einem Tor
versehen, konnte man damals vom anliegenden Wohnhaus in zweiter Reihe
direkt zur Kirche gelangen.
Es ist gut das es wieder mehr Menschen
gibt, die sich dem Alten widmen. Es retten und vielleicht sogar neu
aufgreifen. Doch wo sind die schmalen Pfade, an dessen Wegende das
Abenteuer wartet? Wo ist die Patina, die Geschichten von
Jahrhunderten erzählt? Wo bleibt die Romantik, die uns inspiriert
etwas zu erleben, raus zu gehen und dem Entdeckerinstinkt zu folgen?
Was ist aus den Erfahrungen geworden, die von Generation zu
Generation weitergereicht wurden und nun als Mythologie, Märchen
oder Humbug abgetan werden? Wann begann der Mensch vom Träumer zum
Realisten zu verkommen? War es die chemisch gereinigte
Geradlinigkeit, die uns zu funktionalen Saubermännern werden ließ?
Natürlich kann man auch in der Moderne
Abenteuer erleben und es macht mir sogar Spaß, in riesigen
Parkhäusern durch die Etagen zu streifen. Aber hier ist nichts
Lebendiges verborgen. Der Beton erzählt keine Geschichten. Gebaut
wird mit künstlichem Baustoff - nicht mit entdeckbaren
Naturmaterialien. Beton hat keine Jahresringe und Industrieputz ist
tot und kalt - ganz im Gegenteil zum Lehmputz.
Es gibt praktische keinen Abenteuerfilm
ohne alte unberührte Orte und Gebäude. Sind es Höhlen oder
Pyramiden, Schlösser oder Burgen. Jedes Abenteuer braucht eine Bühne
und einen Ort, der etwas wertvolles beherbergt.
Und nun frage ich Euch: „Was kann
jeder Einzelne tun, um die Abenteuer nicht erlöschen zu lassen?
Welche Möglichkeiten gibt es, das Alte und Schöne zu bewahren? Was
braucht man vielleicht nicht zu streichen oder zu überputzen? Die
Holzplanken eines dreihundertjährigen Fußbodens erzählen die
abenteuerlichsten Geschichten, alte Hauswände bewahren jede Spur der
Zeit. Mit echtem Leinöl lassen sich unzählige Oberflächen
konservieren. Muss wirklich alles abgerissen werden das alt ist, oder
kann man es auch mit einfachen günstigen Mitteln erhalten, um das
Abenteuer nicht erlöschen zu lassen?“
Ohne die kunstvollen Werke der Alten
verkümmert unser Sinn für das Schöne. Ein Abenteuer nährt sich
von Romantik und Entdeckerlust. Ohne die Schönheit des Alten geht
die Inspiration für Erkundung verloren.
Was können wir tun, um das Abenteuer
zu bewahren?